Der Nachlaß von Israil Bercovici wurde samt seiner jiddischen Bibliothek im Jahre 1997 von der
Professur
für Religionswissenschaft unter meinem Mann, Prof. Dr. Karl E. Grözinger, an der Universität Potsdam
erworben und von der Verfasserin dieses Findbuchs mit Mitteln der DFG im Rahmen eines Forschungsprojektes
der Universitätsbibliothek Potsdam und der religionswissenschaftlichen Professur erschlossen und katalogisiert.
Die Arbeit am Findbuch hat zu einer ersten wissenschaftlichen Auswertung des Nachlasses in meinem Buch,
Die jiddische Kultur im Schatten der Diktaturen. Israil Bercovici Leben und Werk, Philo Verlag Berlin,
Wien, 2002, 545 S. geführt. Ich verweise auf diesen Band und kann mich hier nunmehr auf wenige Hinweise beschränken.
Israil Bercovici wurde am 20. Dezember 1921 in Botosani, Rumänien, geboren, gestorben ist er am
15. Februar 1988, im Alter von erst 66 Jahren, in Bukarest. Er war von 1955 bis 1982 literarischer
Leiter (oder wie es in Rumänien hieß, literarischer Sekretär) und Chefdramaturg des Jüdischen
Staatstheaters Bukarest. Neben seinen häufigen Regiearbeiten war er zugleich bedeutender Historiker
des jiddischen Theaters wie der jiddischen Literatur und betätigte sich regelmäßig auch als Vortragsredner
zu literatur- und theatergeschichtlichen Themen sowie als Übersetzer und aktiver Teilnehmer am
jüdisch-rumänischen Leben.
Aus dem Nachlaß von Israil Bercovici kann über den Alltag der Juden im rumänischen Kernland, in Bukarest,
Vieles erfahren werden, denn er bietet nicht nur einen tiefen Einblick in das Leben und Schaffen eines der
heute immer seltener noch anzutreffenden Intellektuellen, die in der jiddischen Kultur zu Hause sind,
sondern auch in die nicht mehr existierende osteuropäische jiddische Lebenswelt. Der Potsdamer Nachlaß
besteht aus vielen losen, ungeordneten Dokumenten und ca. 350 Mappen mit etwa 2300 vor allem rumänischen
und jiddischen Briefen, Lebensdokumenten, Werkmanuskripten und einem umfangreichen Pressearchiv.
Die erschlossenen Unterlagen sind hauptsächlich in jiddischer und rumänischer, aber auch in englischer,
hebräischer, französischer, polnischer, spanischer, portugiesischer, russischer und ungarischer Sprache verfaßt.
Es gab in Bercovicis Leben drei Phasen, die allesamt von Diktaturen und Personenkulten überschattet
waren: die Jugend und Verfolgung unter der faschistischen Diktatur, die stalinistische Diktatur mit
dem Beginn seiner Karriere als Theatermann und Literat, die sich während der dritten Diktatur unter
Nicolae Ceausescu voll entfaltet hatte. Man kann über die große produktive Energie dieses
Mannes
nur staunen, die schon früh, während seines Studiums und kurz danach begann. Als Mitglied des kommunistischen
Jüdischen Demokratischen Komitees, des IKUF (Jüdischer Kulturverband), des Rumänischen Schriftstellerverbandes,
von 1948 bis 1953 als Redakteur und seit 1949/50 als verantwortlicher Redakteur der stalinistischen
Wochenzeitung IKUF-Bleter sowie bis 1955 als leitender Mitarbeiter der 1949 gegründeten jiddischen
Radiosendung, hat er die ersten Jahre des Wiederaufbaus der jüdischen Gemeinden im Nachkriegsrumänien
aktiv mitgestaltet.
Israil Bercovici war ein vielseitig gebildeter und schöpferischer Mensch, ein unermüdlicher Kompilator
von Materialien auch zur Geschichte der jüdischen Kunst, Literatur, Musik und des jüdischen Humors.
Seine beiden monumentalen Arbeiten zur Geschichte des jiddischen Theaters sowie seine drei jiddischen
Gedichtbände, In di oygn fun a shwartser kave (1974), Funken iber doyres (1978) sowie Fliyendike
oysyes (1984), die im Bukarester Kriterion Verlag erschienen sind, haben ihn in der jüdischen wie
nichtjüdischen Fachwelt bekannt gemacht und ihm literarische Preise eingebracht. Für das erste Buch
erhielt er 1975 den Preis des rumänischen Schriftstellerverbandes. Zuvor wurden ihm für seine kulturelle
Tätigkeit zwei Medaillen (1953 und 1956) und ein Orden der Arbeit (1971) verliehen. Er war Mitherausgeber
einer vierbändigen Geschichte des Theaters in Rumänien und für seinen Beitrag zum Buch über Das rumänische
Gegenwartstheater 1944-1971 erhielt er 1977 die wichtigste rumänische Kultur-Auszeichnung,
den "I. L. Caragiale Preis" der Akademie der Sozialistischen Republik Rumänien [heute die Staatsakademie
der Künste und der Wissenschaften]. Israil Bercovici war Mitglied der rumänischen Akademie für Sozial- und
Politische Wissenschaften. 1983 ernannte ihn das israelische Jiddische Kulturzentrum Sholem-Aleykhem-Kultur-Hoyz in
Haifa zum Ehrenmitglied. Auch wurde er mit zwei ausländischen Preisen ausgezeichnet: Seinem Theater und somit
auch ihm wurde 1976 der amerikanische H. Zhitlovsky-Preis verliehen und 1984 erhielt er zusammen mit einem
weiteren jiddischen Schriftsteller, Yehuda Elberg aus Israel, in New York den Preis des Jüdischen Weltkongresses,
die A. M. Vaisenberg-Literatur-Premye, worüber die jiddische Presse weltweit berichtete.
Wichtig ist der Nachlaß aber insbesondere für die Geschichte des jiddischen Theaters, denn Israil Bercovici
verfaßte eine als Standardwerk gepriesene Geschichte des jüdischen Theaters in Rumänien, die 1976 unter dem
Titel 100 Jahre jüdisches Theater in Rumänien auf Jiddisch und 1982 auf Rumänisch in Bukarest erschienen ist.
Außerdem befindet sich im Nachlaß ein über 600 seitiges jiddisches Typoskript der Geschichte des jüdischen
Theaters in der Welt, welches er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr beendet und zur geplanten Publikation
im Ost-Berliner Henschel- und Wiener Locker-Verlag gebracht hat. Um diese umfangreichen Arbeiten verfassen
zu können, sammelte Bercovici unzählige Materialien zum jiddischen Theater, darunter Originalplakate von
Vorkriegstheatertruppen, Programme, Fotografien u. ä. In einem kommunistischen Staat, in dem die Religion
an den Rand gerückt wurde, hat Israil Bercovici als Nachfolger von Abraham Goldfaden in einer jiddischen
Formel das ausgedrückt, was das Dasein eines jüdischen Theaters berechtigte, ja, als eine zwingende
Notwendigkeit erscheinen ließ: Dos ort, vos s'hot amol farnumen bay di felker di religye, darf farnemen
dos teater (Den Stellenwert, den früher bei den Völkern die Religion inne hatte, muß jetzt das Theater
übernehmen). Zu diesem Zwecke dokumentierte er auch die Tätigkeit seines eigenen Theaters, die zugleich
zum großen Teil ja seine eigene Arbeit war, dank welcher sich das Bukarester Theater als Vermittler der
Tradition und als Ort der jüdischen Identifikation erweisen konnte.
Seit 1955 am Jüdischen Staatstheater Bukarest als Dramaturg tätig, konnte Bercovici seinen erzieherischen
und dichterischen Neigungen sowie seiner Leidenschaft für das Theater nachgehen, nicht zuletzt indem er
auch Stücke aus dem Jiddischen, Rumänischen, Deutschen, Französischen und Hebräischen übersetzte. Nebenher
gestaltete er von 1969/1970 bis 1972 den jiddischen und z.T. auch den hebräischen Teil der dreisprachigen
Zeitung Tsaytshrift (Revista Cultului Mozaic din R.P.R) der Föderation der Jüdischen Gemeinden in der
Volksrepublik Rumänien. Von den Mühen und Mängeln des Alltags ließ er sich scheinbar kaum anfechten: Im
Nachlaß gibt es z. B. auch Unterlagen über den Kampf mit den Behörden um eine Schreibmaschine - er mußte
bei der Miliz Schriftproben seiner Schreibmaschine mit hebräischen Lettern hinterlegen, später ging es
um ein Tonbandgerät usw. Daß es oft sogar an Papier mangelte, sieht man an seinen Notizen, die er auch
auf kleinsten Papierfetzen unterbrachte, und statt mit Heftklammern sind viele seiner Manuskriptseiten
mit Stecknadeln zusammengehalten. Er verfügte über solche scheinbar banalen und für uns selbstverständlichen
Dinge eben häufig nicht und dennoch arbeitete er sehr effizient! Hilfe erhielt er von befreundeten Menschen
aus dem Ausland, wie Dina Abramowicz, der kürzlich verstorbenen legendären Bibliothekarin des New Yorker
YIVO-Instituts, die ihm Fotokopien von Materialien - ein für ihn in Rumänien lange unerreichbarer
Luxus zuschickten.
Da Bercovici häufig Durchschläge seiner getippten Briefe aufbewahrte, ist seine Korrespondenz in diesen
Fällen nachvollziehbar und aufschlußreich, so bezüglich seiner Kontakte zu Künstlern, Wissenschaftlern und
Politikern in vielen Ländern. Auch die nach Israel und anderswohin ausgewanderten Mitarbeiter des Bukarester
Jüdischen Staatstheaters haben den brieflichen Kontakt mit ihm aufrechterhalten. Unter den Briefen befinden
sich solche von dem Pariser Dramatiker Haim Slovès, von Josef Burg, dem jiddischen Dichter aus Czernowitz,
und von Professor Claudio Magris aus Triest, dem Spezialisten für die Literatur der Habsburger Monarchie;
von Efraim Kischon, dem Satiriker aus Israel, und von der Tochter des von den Nationalsozialisten ermordeten
polnisch-jiddischen Dichters Alter Kacyzne, Sulamita Kacyzne-Reale aus Rom; es schrieben ihm der japanische
Theater- und -Kafka-Forscher Kazuo Ueda, der amerikanische Theaterhistoriker David Lifson, die Prinzipalin
des jüdischen Theaters in Polen und Emigrantin des Jahres 1968, Ida Kaminska, wie auch ihr Nachfolger auf
dem Direktionsstuhl des Staatlichen Jüdischen Theaters in Warschau, Szymon Szurmiej, sowie der Regisseur
und Maler Jakub Rotbaum aus Breslau, der schon Regisseur bei der Wilnaer Truppe war, und viele andere
mehr. Einen breiten Platz in der Korrespondenz nehmen außerdem die "jiddischen Kulturtuer" aus verschiedenen
Ländern ein. Mit der Öffnung Rumäniens nach Außen entwickelten sich auch die Beziehungen
zwischen den Vertretern des rumänischen Judentums und den Vertretern amerikanischer Organisationen zu einem gegenseitigen
regelmäßigen Austausch. Zunächst bestanden Kontakte zu den linksgerichteten jiddischsprachigen amerikanischen
Kreisen, wie YKUF, Arbeter Ring usw. So schrieben ihm aus New York, Hermann Yablokoff (oder Herman Yablokov)
von der Hebrew Actors Union, Abraham Jenofsky, Generalsekretär des amerikanischen YKUF, Dr. Itche Goldberg,
Herausgeber der Zeitschrift Yiddishe Kultur, und Mitarbeiter der H. Zhitlowsky Foundation sowie dem Service
Bureau of Jewish Education, Joseph Mlotek vom The Workmans Circle u. a., aus Australien Yasha Scher, der
Vorsitzende des David-Herrmann (bzw. Dawid Herman)-Theaters, der Politiker Schmuel Mikunis von der KP Israels
aus Tel-Aviv, oder die Journalistin Renata M. Erich aus Wien.
Über Israil Bercovicis Leben und Werk im Nachkriegsrumänien, wo zunächst unter Gheorghe
Gheorghiu-Dej der
Stalinismus und danach der Ceausescu-Klan ihr Unwesen trieben, gibt der Nachlaß beredt Auskunft.
Darüber
hinaus bietet er Einblicke in unterschiedliche Bereiche sowohl persönlicher, historischer, gesellschaftlicher
als auch kulturgeschichtlicher Art. Israil Bercovicis Unterlagen illustrieren die persönliche Geschichte und
den Alltag des Nachlassers und seiner Familie - Bercovici sammelte z. B. jedes Stück beschriebenes und
unbeschriebenes Papier, das, wie erwähnt, sichtlich Mangelware war, kleine Souvenirs von den Reisen,
aber auch Strom- und Telefonrechnungen aus Bukarest etc. Der Nachlaß spiegelt ferner seine breitgefächerten
Interessen für Geschichte, Kultur und Politik wider (er sammelte Presseartikel z. B. über Kunst, Musik,
Folklore, die Politik im Staat Israel, über Antisemitismus in der Sowjetunion sowie über jüdisches Leben
in der Welt) und zeugt von seinem persönlichen Arbeitsstil sowie seinen Vorlieben, wie sie sich aus den
Notizen und Entwürfen, längeren Fassungen und kürzesten irgendwohin gekritzelten Apercus oder
niedergeschriebenen Zitaten ergeben. Das nachgelassene Material liefert außerdem Unterlagen für die
Erforschung der rumänisch-jüdischen Zeitgeschichte unter Gheorghiu-Dej und Nicolae Ceausescu, der
rumänischen Judenpolitik, der Beziehungen zu der kommunistischen Partei in Israel sowie für die
weltweite jiddische Kulturarbeit nach 1945. Dieser Nachlaß ist somit für Slawisten,
Journalisten,
Jiddisten, Osteuropahistoriker, Theaterwissenschaftler sowie Kulturhistoriker von grossem Interesse.
Abschließend möchte ich der damaligen Leitenden Direktorin der Universitätsbibliothek
Potsdam,
Frau Barbara Schneider-Kempf, und meinem Mann, Prof. Dr. Karl E. Grözinger, dafür danken, daß sie dieses
Forschungsprojekt gemeinsam inaugurierten sowie Frau Dr. Ulrike Michalowsky, der neuen Leitenden
Direktorin der Bibliothek, die sich für die Publikation des Findbuchs im Druck und Internet einsetzte.
Schließlich gebührt Herrn Raffaele Torsello Dank für seinen Einsatz bei der mühevollen und schwierigen
Arbeit der Konvertierung der Datei für beide Publikationsmedien.
Aufbau des Findbuchs
(in der gedruckten Version)
Der Nachlaß wurde gemäß den vom Deutschen Bibliotheksinstitut herausgegebenen Regeln zur
Erschließung
von Nachlässen und Autographen (RNA) erschlossen. Er ist in vier Gebiete oder Materialarten
unterteilt: I) Korrespondenzen (b) II) Lebensdokumente (l), III) Werkmanuskripte (w), IV) Sammlungen (s).
Jedes Gebiet enthält folgende Angaben:
I) Korrespondenzen (2136 Stück):
Zeile 1: Inventnr.; Materialart; Entstehungsland (z. B. RO = Rumänien); Sprache (z. B. yid = Jiddisch);
Entstehungsdatum; Entstehungsort; Art- Umfang-Anzahl
Zeile 2: Angaben zum Verfasser: Name; Pseudonym; Geschlecht; Lebensdaten; Beruf; Affiliation
(Nennung der Körperschaft, für die oder in deren Auftrag eine Person gearbeitet hat);
Wirkungsdaten; Wirkungsort; Körperschaft (Institution, Organisation, Behörde etc., die
als Verfasser fungiert)
Zeile 2: Angaben zum Verfasser: Name; Geschlecht; Körperschaft
Zeile 3: Titel; Untertitel; Organ; Ort; Datum
Zeile 4: Inhalt-Regest; Bemerkungen
Die folgenden im Findbuch vorhandenen Abkürzungen richten sich ebenfalls nach der
Code-Normierung der RNA:
- Geschlecht: f = weiblich; m = männlich
- Länder : AR=Argentinien; AT=österreich; AU=Australien; BE=Belgien; BR=Brasilien; CA= Kanada; CH=Schweiz;
CZ=Tschechoslowakei; DE=Deutschland; FR=Frankreich; GB=Vereinigtes Königreich/Großbritannien; GR=Griechenland;
IL=Israel; IT=Italien; JP=Japan; MC=Monaco; PE=Peru; PL=Polen; RO=Rumänien; RU=Russland; SE=Schweden;
(SU= Sowjetunion); UA= Ukraine; US=Vereinigte Staaten; UY=Uruguay; UZ=Usbekistan; YU=Jugoslawien; ZA=Südafrika
- Sprache: cze=tschechisch; eng=englisch; fre=französisch; ger=deutsch; heb=hebräisch; hun= ungarisch;
ita=italienisch; pol=polnisch; por=portugiesisch; rum=rumänisch; rus=russisch; spa=spanisch; yid=jiddisch;
Weitere Abkürzungen im Text:
Betr. = betrifft
Biograph. = biographisch; Biographie
Bl. = Blatt
Deut. = deutsch
Engl. = englisch
f. = für
Fotokop. = Fotokopie
Franz. = französisch
Handschriftl. = handschriftlich
Hebr. = hebräisch
Hektograph. = hektographiert
I. B. = Israil Bercovici
illustr. = illustriert; Illustration
Info = Information
Israel. = israelisch
Jidd. = jiddisch
Jüd. = jüdisch
Kart. = Karton
Kop. = Kopie
Kt. = Karte
m. = mit
Masch. = maschinell [geschrieben]
Mp. = Mappe
o. = ohne
Od. = oder
o. J. = ohne Jahr
o. D. = ohne Datum
o. Tit. = ohne Titel
Rabbin. = rabbinisch
Rumän. = rumänisch
Span. = spanisch
teilw. = teilweise
TES = Jüdisches Staatstheater Bukarest (Teatrul Evereiesc de Stat Bucuresti)
Tit. = Titel
Typoskr. = Typoskript
üb. = über
u. = und
v. = von
weg. = wegen
Zw. = zwischen
Die Transkription jiddischer Texte, falls nicht anders angemerkt, richtet sich nach den
YIVO-Regeln und kann daher von anderen im Findbuch vorhandenen Transkriptionsformen abweichen.